Eröffnung 24.04.2004
Mai und Juni 2004.
Marta und Slava
„Ein
Traum, in dem Ihnen die eigenen Knie zu groß erscheinen, verheißt
baldiges Glück.“ Traumdeutung war schon immer ein schwieriges Geschäft.
Symbole spazieren über Metaphernbrücken in surrealen Räumen und sollen
am Ende noch etwas Sinnvolles über das sogenannte wirkliche Leben
aussagen. Umso absurder nimmt sich die prosaische Rückübersetzung der
komplexen Traumbildgefüge in die einfache Essenz angeblicher Bedeutung
aus. „Ein im Traum gesehener Schlauch ist ein Symbol Ihres literarischen
Talents und Ihrer künftigen Erfolge auf diesem Gebiet.“ Solchen Sätzen
in dem „Handbuch der Traumdeutung“ fehlen schlichtweg alle athmosphärischen
Zutaten und räumlichen Bilder, die aus einer ans Absurde grenzenden
Banalität jenes komplexe Gefüge machen, was uns tatsächlich etwas über
uns und unser Leben mitteilen kann.
Noch
absurder wird es, wenn die Bilder zu den Sätzen einfach nur die Sätze,
nicht mehr die Träume illustrieren. Slava Shevelenko holt seine Bilder zu
dem „Handbuch der Traumdeutung“ nicht aus der Phantasie, sondern aus
dem Alltag, jener linearlogischen Praktikabilität, mit der wir uns durch
die Welt bewegen, ohne Umwege nehmen zu müssen. What You see is what You
get: „Wenn Sie im Traum einen Hammer in die Hand nehmen, dann denken Sie
mal darüber nach, ob Sie sich anderen nicht zu sehr aufdrängen”
illustriert er mit zwei Männern, die sich mit ausdrucksloser Miene mit
einem Hammer beschäftigen.
Mit
geradezu stoischer Unbekümmertheit bebildert Shevelenko die
Traumdeutungen mit den Motiven. Er unterläuft damit die für den Traum
charakteristische Verschränkung von Motiv und Symbol, von Realitäts- und
Bedeutungsebenen, wodurch eigenartigerweise eine Verschiebung entsteht.
Denn gerade dort, wo man tiefere Bedeutungsebenen erwartet, führt seine
prosaische Umsetzung ins Leere: die Bilder werden absurd.
Traumdeutung
ist die Kunst der Interpretation von Bildern, nicht von Fakten, und eignet
sich damit gut als Spiegel der Kunst. Denn auch die Kunst beruht nicht auf
der Faktizität der Bilder, sondern auf ihrer Variabilität, nicht auf der
Eindeutigkeit, sondern auf der Vieldeutigkeit. Das unterscheidet sie von
der Illustration, die einen Sachverhalt lediglich anschaulich macht, ohne
ihn dem Kausaldenken zu entziehen und damit anderen Sinnzusammenhängen zu
öffnen.
Diesen
anderen Sinnzusammenhängen nähern sich Slava Shevelenko und Marta
Volkova jedoch in einer unorthodoxen Art und Weise: Statt nämlich in den
Bildern durch surreale Verschränkungen künstlerisch künstlich
Sinnzusammenhänge zu erzeugen, nehmen sie ihr Material beim Wort. Während
Shevelenko die Traumdeutungen auf ihre Motive reduziert und diese
konsequent alltäglich inszeniert, spinnt Volkova motivische Fäden so
lange weiter, bis sie im Bild miteinander kollidieren und dadurch tatsächlich
surreal anmutende Konstellationen produzieren.
„Die
Schatzinsel“ beispielsweise zeigt einen liegenden weiblichen Rückenakt
vor einer weiten Bucht Dali'scher Prägung, deren Strand von zwei Straßenfegern
in aussichtsloser Anstrengung gereinigt wird. Dabei ist es eigentlich
konsequent, Sand mit Schmutz zu verbinden und nach dieser Logik Straßenkehrer
an ein Ufer zu versetzen. Nach vorne schließt das Bild mit einer bunten
Reihe von Wackelpuddings ab, die wie ein Kommentar der rubinesken
Rundungen des Rückenaktes wirkt: ein verheißungsvolles Schlaraffenland,
in dem das klassische Motiv des weiblichen Rückenaktes in einen
spielerischen Sinnzusammenhang gestellt wird, der sich von den
Inhalten der Hochkunst fundamental unterscheidet. Vor dem
Hintergrund der Zitate eines Hochkunstmotives und der Dali'schen
Traumlandschaft mit Ziffernblatt, nimmt sich diese prosaische
Bedeutubgssuggestion ganz besonders absurd aus: denn auch hier erwartet
man, ähnlich wie bei Shevelenkos Traumillustrationen, allein
schon aufgrund des Kontextes feierlichen Respekt vor den Motiven
der Hochkunst und eine surrealistische Beschwörung des Unbewussten. Was
man hingegen sieht, sind spielerische Assoziationen und konsequent zu Ende
gedachte Handlungen, die beides, das surrealistische Symboldenken und die
kausalorientierte Weltordnung, gleichermaßen unterlaufen.
In
einem weiteren Bild von Marta Volkova, „Über ein Mädchen und ihre
Gewohnheiten“, blickt ein weiblicher Rückenakt mit dem Fernglas auf das
Meer, das als Poster an der Wand hängt. Ein daneben stehender Eimer legt
nahe, dass sie durch ein frisch geputztes Fenster blickt. Jede Handlung
birgt für sich genommen
eine gewisse Logik: der Blick aufs Meer suggeriert einen Blick
durchs Fenster, was von dem Eimer noch gestützt wird. Der weibliche Rückenakt,
der in der Hochkunst in stiller Selbstgenügsamkeit auftaucht und nur
geringfügig von mythologischen oder biblischen Geschichten inhaltlich
legitimiert wird, wird dieser Selbstgenügsamkeit entrissen und in einen
„sinnvollen“ Handlungszusammenhang eingebettet. Was sonst erstarrte
Pose ist, wird in gewöhnliches Tun uminterpretiert. Gleichzeitig wirkt
der Akt wie ein „Bild im Bilde“, wie ein vor einer bunten Tapete hängendes
Poster, und verweist damit auf seinen ikonenhaften Status im Bilderschatz
der Hochkunst. Darüber hinaus fungiert dieses „Bild im Bilde“ aber
auch wie ein Kommentar zu dem allen kausallogischen Zusammenhängen überlegenen
Status der Kunst selbst. Denn und
damit schließt sich der Kreis es
ist die Kunst, die Freiräume schafft.
Die
Freiräume, die Marta Volkova und Slava Shevelenko mit ihrer Kunst
schaffen, sind keine kompliziert surrealistisch-künstlichen, sondern
Resultate der Realität.Indem beide Gedanken
konsequent zu Ende
denken, Posen in Handlungen überführen und Motive beim Wort nehmen,
entstehen Bilder, die die Grenze linearlogischen Denkens aufzeigen. Ihre
Vorgehensweise erinnert an eine kindliche Unmittelbarkeit, mit der ihr
eigenen Logik Dinge zu Ende zu führen und erst dadurch auf die Widersprüche
einer dem Kausalitätsdenken verhafteten Erwachsenenwelt zu stoßen. Diese
Unmittelbarkeit ist auf ihre Weise ganz logisch und eröffnet dadurch
einen Raum für eine nicht irrational verstandene Phantasie. Phantasie nämlich
bedeutet Freiheit, sich in Räumen zu bewegen, die nicht nur
Vorstellungen, sondern auch Handlungen überhaupt erst ermöglichen. Und
diese Phantasie scheitert meistens an einer Logik, die sich der so
genannten Ordnung der Welt verpflichtet glaubt.
Volkova
und Shevelenko haben sich ein Stückchen dieser kindlichen Unbefangenheit,
ihren ursprünglichen Zusammenhang und ihre Kraft zur Konsequenz, bewahrt.
Das zeigt sich auch im Umgang mit den kulturellen Produkten. Als Russen
scheinen sie die zwei vollendetsten Formen kultureller Repräsentation im
Westen die Werbung und die
Hochkunst besonders
unbefangen und diese gleichzeitig durch die stark propagandisierte eigene
Kultur auch besonders kritisch wahrzunehmen. Doch nähern sie sich ihnen
in eben jener kindlich-stringenten Art und Weise, die sie sowohl von einem
dezidiert medien- oder sozalkritischen Ansatz unterscheidet wie auch von
der Soz-Art, der aufatmend-respektlosen Verwertung des postsozialistischen
Bilderbergs nach dem Wegfall des ideologischen Ballastes. Nicht von außen,
sondern von innen führen Marta Volkova und Slava Shevelenko das
vermeintliche Ordnungsgefüge der Welt mit seinen eigenen, ganz
logischen Mitteln
an seine
Grenzen.
Veronika
Schöne
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