Hermann
REIMER
http://www.hermann-reimer.de/
1959geboren
in Münster/Westfalen 1983Diplom
Physik 1984-1989Studium
der Malerei an der HdK Berlin,
Absolvent 1990Meisterschüler
von Prof. Klaus Fußmann
Ausstellung
Galerie Steinrötter, Münster
Gerettete Malerei – Bilder von
Hermann Reimer
Kunst ist immer wieder in Gefahr. In wiederkehrenden
Zyklen wird ihr Ende angesagt und oft sogar
schon festgestellt. Eine der ganz großen
Krisen hat der Verfasser dieser Zeilen als
jugendlicher Maladept selbst miterlebt. Es
waren das nach dem Krieg von Wols und
Fautrier entwickelte Informel, das in den
fünfziger Jahren dann berühmt und bestimmend
wurde, und der gleichzeitige amerikanische
Abstrakte Expressionismus mit Pollock und de
Kooning an der Spitze, welche überall als
letzte Möglichkeit der Malerei angesehen
wurden. Das, so schien es, war der Endpunkt
der Malerei. Es gab viele Diskussionen
darüber, ob denn hinter diesem letzten
Archipel überhaupt eine weitere Malerei zu
denken sei. Keiner konnte sich das
vorstellen. Und so dümpelte der Tachismus,
ein weiteres Wort für gestische Kunst, dahin
– nach kurzer Zeit schon schal geworden,
aber mit immer mehr Malern im Schlepptau.
Ein Medium, die Malerei, schien ausgeschöpft
zu sein.
Erst die Pop-Art sollte hier, zu Beginn der sechziger
Jahre, der müde gewordenen Ästhetik des
Informel ein Ende bereiten, indem sie das
Primat der reinen Malerei aufhob und sich
wieder an die narrative Verpflichtung eines
Bildes erinnerte. In wenigen Jahren war die
gesamte Kunstszene umgekrempelt und ein Weg
aufgezeigt, der so weiträumig wie
einleuchtend war, dass sich eine ganze, neue
Welt für Maler damit auftat.
Es war ein Anfang voller Kraft und Hoffnung. Es war
eine Kunst, die sich ihre Sujets, ihre
Themen aus der Werbung, aus der Glitzerwelt
des Films sowie aus ihrer eigenen
Vergangenheit, nämlich Bilder der
Kunstgeschichte, nahm und persiflierte. Aber
auch hier dauerte es nur einige Jahre und
wiederum begann ein Verfall: zur Pop-Art
gesellten sich Arrangements wie Performance,
Video, Environment etc., die sich an Stelle
der Malerei setzten, Malerei also zum
Handwerk ummodeln wollten. Ein vielleicht
noch bedrohlicherer Zustand, der diesmal die
gänzliche Abschaffung anpeilte.
Erst viel später, in der Post-Pop-Art, und noch später
mit der Leipziger Schule, kamen die
vorauseilenden Träume des Science-Fiction
dazu, und Software und Internet lieferten
einen ganzen Märchenwald an Möglichkeiten.
Ein Kaleidoskop entstand aus Realismus,
Zeitungsausschnitten, Anzeigen und Comics:
Große und kleine Dinge wurden ohne
Verhältnis zusammengefügt, oben und unten
gänzlich aufgehoben, Gegenstände hatten
keine Schwere mehr, Zeit und Zeitalter waren
ohne Belang. Es entstand eine vorher nie
gesehene Inflation der Phänomenologie, ein
Chaos aus Fiktion, Wahrheit und Zufall, aber
es entstand auch Hermeneutik, ja, eine
Ahnung von Allegorie wehte uns manchmal an.
Das war die zweite Rettung der Malerei und diese ist
bis heute noch wirksam. Als Hermann Reimer,
von der Physik kommend, sich der Kunst
verschrieb, war davon nur ein schwacher
Morgenstreif sichtbar, und dieser Streif
hieß Phillip Guston. Nur Strukturen für die
große Deutung waren vorhanden, die Kunst
selbst schwebte noch ziellos im
gesellschaftlichen Raum. Zurück wollte man
nicht, die Tradition blieb zerstört. Zu der
Zeit war jede Kunsttheorie Äonen entfernt
von der direkten Anschauung des
Impressionismus, und Versuche im
Expressionismus verliefen im Sande. Letztere,
oft überzeugend gemalte Versionen, blieben
doch international ohne Wirkung. Den jungen
Malern in diesen neunziger Jahren, wovon
mittlerweile die Rede ist, war Phillip
Guston ein Vorbild. In seinem Geiste, in der
Einfachheit seiner großzügigen Spätphase,
fanden sie die bedingungslose Hingabe, die
Offenheit, gepaart mit Kraft und Rigorosität
die sie suchten. Seine Malerei überzeugte
eine ganze Generation und so mancher fand
durch ihn wieder zurück zur Malerei.
Der junge Phillip Guston allerdings gehörte in den
fünfziger Jahren zu den Protagonisten des
abstrakten Expressionismus, war damals schon
sehr erfolgreich, aber, und das ist eines
der seltsamsten Paradoxa der Kunstgeschichte,
erst sein Spätwerk, welches wieder zurück
ins Gegenständliche fiel – wieder zurück in
die plakative, großformatige, wuchtige
Malerei einfacher Dinge und Figuren – sollte
jene Pop-Art überwinden, mit der er gar
nichts zu tun hatte. Seine späte Malerei
verhalf der Post-Pop-Art zu einer Plattform,
die so wirkte, dass sie Hermann Reimer zu
der entscheidenden Auseinandersetzung mit
Malerei anregte. Über Gustons Vorbild wurde
er zu einem suchenden, ernsthaft arbeitenden
Maler. Die Kunst Hermann Reimers sieht heute
ganz anders aus, vom Einfluss Gustons ist
nichts mehr zu sehen, aber der Aufbruch kam
über ihn.
Jeder neue Anfang ist schwierig, zwischen Vorstellung
und Resultat liegen Welten. Eine neue
Ästhetik ist zunächst ungelenk. Dazu kam,
dass das Umfeld die Lösung nicht anbot, auch
nicht vorgeben konnte. Nur die Tat konnte
helfen, nur malend konnten Fiktion und
Realität, die Egalität von Groß und Klein,
von Gestern, Heute und Morgen sich zeitlos
und so somnambul im Bilde vereinen.
Glückt diese Malerei, ist sie faszinierend.
Verlässt den Maler aber seine Intuition und
findet er nicht aus dem Wust von tausend
Möglichkeiten die richtige Fassette, bleibt
sein Bild belanglos. Er ist gezwungen, das
Wagnis einzugehen, muss sich immer wieder
extrem entscheiden, und arbeitet so,
zweifelnd und suchend und schließlich
erkennend, am Mythos der Malerei.
Hermann Reimer weiß heute, was er tut. Er ist sicher
geworden – soweit man davon in der Kunst
überhaupt sprechen kann. Der Weg dahin war
hart und der Pfad war schmal. Auch das sieht
von außen immer anders aus, leichter,
einfacher, aber es gibt jedes Mal eigentlich
nur eine richtige Lösung. Diese zu finden
verlangt Geduld und etliches an Stehvermögen.
Hier ist es gelungen und wir freuen uns über
die neue Kunst und darüber, dass im Chaos
eine Ordnung gefunden wurde, und wir nehmen
in Kauf, dass buchstäblich alle
dargestellten Menschen, Häuser und Räume
imaginär, virtuell sind. Daran haben wir uns
gewöhnt, denn auch wir, die Zuschauer, die
Anschauer eines Bildes von Hermann Reimer,
haben mit der Zeit etwas von der neuen Kunst
gelernt. Wir können das Bild jetzt lesen.
Prof. Klaus Fußmann
|